Karosseriebauanlagen aus dem Baukasten

Karosseriebauanlagen aus dem Baukasten

Volkswagen innovativ: EPLAN Engineering Center „von der Konstruktion zur Konfiguration“. Mit der Zielsetzung: Erhöhung der Qualität und 50% Zeitersparnis bei der Konstruktion.

Pionierarbeit wird großgeschrieben in einem Automobilkonzern, der für sich in Anspruch nimmt, „Das Auto“ zu bauen. Um eben genau diese erfolgreichen Autos zu bauen, werden von der Marke Volkswagen jedes Jahr im Schnitt 3 neue Produktionsanlagen, mit jeweils hunderten von Robotern für verschiedene Länder geplant und aufgebaut. Mit steigender Anzahl von Fahrzeugderivaten bei gleichzeitiger Reduzierung der Produktion je Fahrzeugderivat stellen sich neue Herausforderungen für die Planungen von Produktionsumfängen. Es rückt die Definition von Standards in den Vordergrund und die Frage, wie diese abgebildet werden können. Bei der Marke Volkswagen setzt man daher in der Planung Anlagenelektrik seit 2009 erfolgreich auf eine modulare und baukastenbasierte Konstruktion mit dem EPLAN Engineering Center (EEC).Das Herzstück des EEC ist ein Baukastensystem mit Konfigurator für die Generierung von Schaltungsunterlagen mit regelbasierter Plausibilitätsprüfung. Nahezu alle mechatronischen Abhängigkeiten werden im Baukasten berücksichtigt. Die Daten haben ihren Ursprung in einem zentralen Modell (Single Source of Truth). Von dieser innovativen Arbeitsweise wollen die Wolfsburger auch ihre Zulieferer überzeugen – mit wachsender und positiver Resonanz.
„Die mit dem EEC realisierte Konfigurationslösung heißt Volkswagen Elektro-Anlagen Konfigurator“ (VEAK). Das Team um Steffen Strickrodt, Ingenieur in der Planung Anlagenelektrik, hat in enger Zusammenarbeit mit EPLAN die individuelle Konfigurationsoberfläche entwickelt. „Wir haben mit dem VEAK eine für uns und unsere Zulieferer bedienerfreundliche und einfache Oberfläche im EEC geschaffen, die genau auf unsere Standards abgestimmt ist“, erläutert Strickrodt in unserem Interview in einem der Backsteingebäude auf dem weitläufigen Areal des Volkswagen Werks in Wolfsburg mit großzügigem Blick über Hafen und Autostadt.
Funktionales Engineering: Parallel statt sequenziell arbeitenAls Automotive-Ingenieur vergleicht Steffen Strickrodt das Prinzip gerne mit den Fahrzeug-Konfiguratoren, die praktisch jeder Automobilhersteller im Netz anbietet: So wie man dort über verschiedene Dialoge sein Wunschauto konfiguriert, so soll auch der VEAK den Projekteur möglichst benutzerfreundlich durch die Konfiguration einer Karosseriebauanlage führen.
Im konventionellen sequenziellen Prozess beginnt die Mechanikplanung mit der Auslegung und der Layout-Auslegung, im Anschluss werden diese Daten an die Elektroplanung übergeben, welche dann wiederum für die Automatisierung der Anlage zuständig ist.
Mit dem VEAK soll diese sequentielle Arbeitsweise mit den jeweiligen dahinter verborgenen interdisziplinären Verknüpfungsinformationen parallelisiert werden, doppelte Eingaben gleicher Informationen sollen mit der Zeit verringert werden. Um dies abbilden zu können, werden mechanische Bestandteile einer Karosseriebauanlage mechatronisch betrachtet. Mechanische Komponenten wie Industrieroboter, Drehtische oder Schutztüren sind im VEAK mit ihren interdisziplinären Verknüpfungsinformationen – zum Beispiel der Darstellung im Stromlaufplan – abgebildet.
Der VEAK-Anwender konfiguriert das mechanische Abbild der Anlage unter Anreicherung von Informationen zur Abbildung eines Stromlaufplanes, u.a. Festlegung der Verdrahtungsreihenfolge. Das Ergebnis wird durch diese Vorgehensweise vorausschaubar, Fehler durch „Copy&Paste-Konstruktionen“ können vermieden werden und die Einhaltung von Standards kann gewährleistet werden.
Eine Vorarbeit, die sich auszahltDas verlangt natürlich einiges an Vorarbeit, die das VEAK-Team seit Ende 2009 in Zusammenarbeit mit der Planung und EPLAN geleistet hat: Die Vielzahl möglicher Komponenten wurde in A-, B- und C-Elemente hierarchisiert; A- und B-Komponenten müssen im Konfigurator verfügbar sein und decken rund 45% des Bedarfs ab, C-Komponenten sind „nice to have“, ob sie in den Baukasten kommen, hängt davon ab, wie häufig sie eingesetzt werden und wie schwierig sie abzubilden sind.
Karosseriebauanlagen sind grundsätzlich dem Sondermaschinenbau zuzuordnen. In diesem ist eine Gliederung in optimale Module notwendig: Die richtige Größe der Module ist entscheidend, damit sich diese zu einem funktionalen Gesamtbild fügen lassen.
Da der Projekteur die Konfiguration der Karosseriebauanlage vornimmt, muss dieser auch in letzter Instanz für das Resultat die Verantwortung tragen. Der Aufbau der Oberfläche des VEAK ermöglicht es gezielt und stets übersichtlich über ein integriertes Ampelsystem, die Konfiguration einzelner Module durchzuführen.
Zeitersparnis bis zu 50 ProzentDie Vorarbeiten, die das VEAK-Team mit dem Konfigurator bereitstellen, zahlen sich aus: Das Grundgerüst einer Arbeitsgruppe mit rund 300 Seiten Stromlaufplan lässt sich beispielsweise auf diese Weise „in zwei Stunden konfigurieren und hat einen Reifegrad von 70 bis 80 Prozent“, informiert Steffen Strickrodt.
Die verbleibenden 20-30% müssen händisch auskonstruiert werden, dies geschieht wie gewohnt, für Konstruktionsfirmen bei Volkswagen, in EPLAN Electric P8.
Um in diesem Arbeitsschritt möglichst gezielt zum Ergebnis zu gelangen, werden Anleitungen bereitgestellt; wenn der Konstrukteur sich daran hält, hat er „einen nach Prüflauf korrekten Stromlaufplan“.
„Zulieferer bestätigen uns in einer aktuellen Umfrage: Der VEAK bringt rund 50 Prozent Zeitersparnis“, berichtet Steffen Strickrodt. Bei Überprüfung und Nachkontrolle der Schaltungsunterlagen zahlt sich die höhere Qualität der automatisch erzeugten Stromlaufpläne schon heute aus.
Neues Prozessmodell bietet erhebliche VorteileMit dem VEAK werden Leitplanken zur Einhaltung von Konstruktionsvorgaben abgebildet, was wiederum die Schwelle zum Eintritt in Projekte reduzieren kann: „Firmen reduzieren ihre Einarbeitungszeit in die Vorgaben der Volkswagen Standards“.
Ziel des VEAK ist es, die Komplexität für die Anlagenkonstruktion zu reduzieren, den Markt der möglichen Auftragnehmer zu erhöhen und so insgesamt deutlich mehr Flexibilität im Anlagenbau zu erreichen. Das deckt sich mit der Konzern-Strategie, Produktionsanlagen zu modularisieren und zu standardisieren (modularer Produktionsbaukasten).
„Wer den Baukasten kennt, will ihn haben“Aktuell wird der VEAK in den Projekten für die Werke in Puebla, Bratislava, Emden und Zwickau eingesetzt. Dem Einsatz voraus gehend werden die Firmen in einem zweitägigen Workshop mit dem Umgang der Oberfläche und den Ergebnissen vertraut gemacht. „Am ersten Tag zeigen wir, was der Baukasten kann, wie die Oberfläche strukturiert ist und wie Stromlaufpläne in EPLAN Electric P8 entstehen; am zweiten Tag arbeiten die Workshop-Teilnehmer selbständig mit dem Baukasten, und am Ende sammeln wir Rückmeldungen zur Optimierung des VEAK“, beschreibt Steffen Strickrodt einen typischen VEAK-Workshop. In jedem neuen Karosseriebau der Marke Volkswagen soll der VEAK beim Auftragnehmer Anwendung finden „das hilft, unsere Standards einzuhalten“ – und den Anwendern, Zeit und Kosten zu sparen.
Wichtig für die Etablierung des VEAK sind Referenzprojekte wie die neue Karosseriebauanlage in Puebla, die rund 350 Roboter in ca. 50 Arbeitsgruppen umfasst. Jede Arbeitsgruppe enthält also bis zu 12 Roboter mit bis zu 300 Seiten Stromlaufplan. Bei 50 Arbeitsgruppen sprechen wir also von ca. 15.000 Stromlaufplanseiten.
Fragt man die Anwender über die Zufriedenheit und Potenziale reagieren diese positiv, anfängliche Vorbehalte können schon im Workshop vom VEAK-Team rasch ausgeräumt werden. Der Anwender erkennt schnell selbst die Möglichkeiten und Vorteile, welche diese Innovation für ihn mitbringt.
Ehrgeizige Visionen Das Team des VEAK hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: „Wir möchten zu einem festen Bestandteil der Planung Anlagenelektrik werden und zukünftig für die Konstruktion aller Neuanlagen berücksichtigt werden.“
Dafür sind gesicherte Schnittstellen für die Kommunikation mit den Zulieferern nötig. Bereits in diesem Jahr soll der Baukasten als webbasierter Konfigurator eingesetzt werden, damit künftig Releases und Updates einheitlich auf einem Zentralserver vorgenommen werden können und einer globalen Verfügbarkeit nichts im Wege steht.
Außerdem soll der VEAK schon bald um die Disziplin Software erweitert werden, damit auch SPS-Programme für Karosseriebauanlagen automatisch generiert werden können.
Grundsätzlich bietet das EEC die Technologie, alle projektspezifischen Unterlagen wie Angebote, Stücklisten, 3D-Modelle, Schaltpläne oder Software automatisch zu erzeugen. „Wir haben eine Revolution des Elektroengineering in den Händen, die wir mit einem starken Partner wie EPLAN entschieden vorantreiben.“