Mechatronische Stückliste im Sondermaschinenbau

Mechatronische Stückliste im Sondermaschinenbau

Bei der Witzenmann-Gruppe waren neue Strukturen in der Betriebsmittelkennzeichnung der Schlüssel, um die Welten Mechanik und Elektrotechnik zu harmonisieren.

Die Witzenmann-Gruppe mit Hauptsitz in Pforzheim ist weltweit führender Hersteller von flexiblen metallischen Leitungselementen. Herausforderung in der Produktion: eine hohe Variantenvielfalt der Produkte und damit auch der Maschinen. Die Vision der „mechatronischen Stückliste“ entstand. Neue Strukturen in der Betriebsmittelkennzeichnung waren der Schlüssel, um die Welten Mechanik und Elektrotechnik zu harmonisieren. Die zündende Idee hatte der Firmengründer Heinrich Witzenmann 1885: Er erfand den Metallschlauch. Aus dieser Erfindung entwickelte sich eine ganze Branche: flexible metallische Leitungen. Eine Innovationsgeschichte, die das Unternehmen bis heute fortsetzt. Denn überall dort, wo Kompensatoren Dehnungen ausgleichen müssen, Schwingungen zu entkoppeln sind und wo es gilt, Medien in flexiblen Schläuchen zu führen, kann der Konstrukteur Produkte von Witzenmann verbauen. „Managing Flexibility“ heißt denn auch die Mission des weltweit tätigen Unternehmens aus Pforzheim, das seit 2011 als Marktführer auf diesem Gebiet agiert. Produkte sind Metallbälge, Metallschläuche, Kompensatoren, Fahrzeugteile und Rohrhalterungen für die Anwendungsfelder PKW, Nutzfahrzeuge, Luft- und Raumfahrt sowie Maschinen- und Anlagenbau und Gebäudetechnik. Heute beschäftigt die Witzenmann-Gruppe insgesamt 4000 Mitarbeiter in 24 Unternehmen und bilanzierte 2015 einen Umsatz von 580 Millionen Euro.

Der Marktführer baut seine Maschinen selbst

Witzenmann entwickelt Werkzeuge und Maschinen, die das Kern-Know-how betreffen. So verschieden die Einsatzfälle der jeweiligen Produkte, so unterschiedlich sind auch die anfallenden Mengen. „Die Betriebsmittel reichen von Maschinen und Anlagen der Einzelteilfertigung mit einem geringen Investitionsvolumen über flexible Fertigungszellen bis hin zu vollautomatisierten Linien für Stückzahlen in Millionenhöhe“, bringt Timo Conzelmann, Elektrokonstrukteur bei der Witzenmann GmbH, die Herausforderung auf den Punkt. Durch frühe Einbindung von Werkzeug- und Maschinenbau in die Produktentwicklung lassen sich schon bei der Produktgestaltung die Anforderungen aus Fertigung und Montage berücksichtigen. Durch gezielte Verfahrensentwicklung wird die kundenspezifische Bauteilentwicklung erheblich schneller und reibungsloser realisiert – mit einem Optimum an Prozesssicherheit und Qualität. Witzenmann hat dabei umfassende Erfahrungen bei der Integration von Prozessen wie Schweißen, Laserbearbeitung, Löten, Einpressen, Verpressen, Stanzen, hydraulisches Umformen, mechanisches Umformen sowie Kennzeichnen oder Prüfen. Das macht Witzenmann zum kompetenten Partner, der das entscheidende Plus bietet, um Baugruppen mit flexiblen Elementen herstellen zu können. Für das Elektroengineering all dieser Maschinen setzt Witzenmann auf EPLAN Electric P8, aktuell in der Version 2.5. Zusätzlich installiert hat man in Pforzheim für den Schaltschrankbau die Engineering-Lösung EPLAN Pro Panel und für das fluidspezifische Engineering die Software EPLAN Fluid.

Know-how soll im Unternehmen bleiben

Bis 2013 setzte die Elektrokonstruktion kleinere Ausbaustufen des CAE-Systems EPLAN ein, um damit die elektrische Ausrüstung der Maschinen zu dokumentieren und Pläne der Zulieferer bei Bedarf abändern zu können. Im Jahr 2013 fiel die Entscheidung zum Umdenken: „Wir wollten noch mehr Know-how im eigenen Unternehmen halten und deshalb selbst das Elektro- und Software-Engineering unserer Maschinen übernehmen“ erinnert sich Timo Conzelmann. „Wir haben unsere Abläufe umgestellt, basierend auf EPLAN. Jetzt betrachten wir den Entwicklungsprozess einer Maschine von der Entstehung bis zur Montage. Und für diese Aufgaben setzen wir nicht nur EPLAN als Werkzeug ein, sondern nutzen auch seine Möglichkeiten zur Anbindung an SAP, unser ERP-System.“ Auf Basis des Engineering Control Centers ECTR, das bei Witzenmann zum Einsatz kommt, greift die Bauteile-Datenbank auf SAP zu. „Wir bilden jetzt nicht mehr nur den mechanischen Teil der Maschine sondern die komplette Maschine im CAD ab, und führen die elektrische und mechanische Konstruktion zusammen, erinnert sich Jürgen Rausch, der bei Witzenmann verantwortliche IT-Projektleiter.

Unterschiedliche Strukturen vereinheitlicht

Die Vision dahinter: Eine gemeinsame mechatronische Stückliste der zwei Konstruktionswelten „Mechanik“ und „Elektrik“. Die Herausforderung dabei: die unterschiedlichen Strukturen von CAD-System und Elektro-CAE unter einen Hut zu bringen. Gemeinsamer Nenner in beiden Programmen ist jetzt das Betriebsmittelkennzeichen. Zum einheitlichen Klassifizieren und Erfassen der technischen Merkmale setzt man auf eCl@ss, den branchenübergreifenden Klassifizierungs- und Produktbeschreibungsstandard. Die bislang vorhandenen unterschiedlichen Strukturen in der Mechanik und in der Elektrik ließen sich so harmonisieren. Jetzt gibt es gemeinsame Merkmale, um EPLAN an die Mechanik anzupassen. Ein Prozess, der sich nicht von heute auf morgen umsetzen ließ, der die Flexibilität aller beteiligten Abteilungen forderte. Zugleich ein Prozess, den das EPLAN Consulting im Team mit allen Beteiligten bei Witzenmann moderierte. Dabei galt es, alle Entwicklungsschritte zu überdenken, alle Prozessabläufe in Frage zu stellen und neu zu gestalten. Gemeinsam legte man fest, wie der Stromlaufplan zu strukturieren ist, damit auch der Mechanik-Konstrukteur etwas damit anfangen kann. Wie bereits erwähnt – der gemeinsame Nenner ist jetzt das Betriebsmittelkennzeichen. Anhand dessen entwickelte man Vorgaben, wie der Stromlaufplan zu gestalten ist, damit er sich mit dem ECTR zusammenführen lässt. EPLAN wurde an die mechanischen Gegebenheiten angepasst. Alles in allem ein hartes Stück Arbeit, bis dann die erste virtuelle Maschine stand. Wie toll das in der Praxis funktioniert, schildert Timo Conzelmann: „Ein Pneumatikzylinder führte bislang im Engineering zu drei „Baustellen“. Dank der vereinheitlichten Betriebsmittelkennzeichnung ist dieser Pneumatikzylinder nun identisch in drei Welten vorhanden.“

Vereinfachte Prozesse bringen den Nutzen

Beim Bau seiner Schaltschränke setzt Witzenmann auf Dienstleister. Conzelmann: „Die Zusammenarbeit ist dank EPLAN Pro Panel mit unseren Dienstleistern einfach und zuverlässig.“ Die selbst entwickelten Skripte, optimal zugeschnitten auf die firmeneigenen Bedürfnisse, vereinfachen wesentlich die Freigabeprozesse. „Zusammengerechnet ermöglichen diese Aspekte Einsparungen bis zu 20 Prozent der Schaltschrank-Kosten, bilanziert Jürgen Rausch. „Wir stellen dem Zulieferer nicht nur die 3D-Zeichnungen zur Verfügung, sondern auch die Bohrbilder für die Bearbeitungszentren“, sagt Timo Conzelmann. „Das funktioniert sehr zuverlässig, die Zulieferer sind in schlanker Prozesskette an uns angeschlossen und dank hervorragender Datenqualität kommt es nicht zu Verlusten durch Rückfragen oder Fehler.“ Weiteren Zusatznutzen hebt Jürgen Rausch hervor: „Weil EPLAN die Dokumente als PDF ausgibt, haben wir jetzt weltweiten Zugriff auf die Dokumentation einer Maschine. Die intelligente PDF-Erstellung – in unserem Fall in den Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch – ist einfach toll.“

Konfiguration anstatt kompletter Neuentwicklung

Der realisierten Vision der mechatronischen Stückliste folgt schon die nächste Aufgabe: Wiederverwendbares Engineering. Aus einmal erstellten Engineering-Modulen sollen neue Maschinen durch Konfiguration generiert werden. „Um aus Teilprojekten vorhandener Maschinen eine neue konfigurieren zu können, untergliedern wir das Hauptprojekt in Unterprojekte, um dann ganz einfach Standard-Module hinzufügen oder auch wieder entfernen zu können. So werden wir schneller und günstiger“, blickt Timo Conzelmann in die Zukunft der Elektrokonstruktion. „Wenn beispielsweise eine Schweißmaschine mit einer Säge ausgerüstet werden soll, dann können wir das Modul „Säge“ einfach per Klick hinzufügen. Wir müssen nicht jedes Mal neu konstruieren.“ Bei aller Virtualität einer Maschine, ganz ohne leichte Änderungen beim Aufbauen und Installieren der Maschine kommt aber auch Witzenmann nicht aus. Es seien hauptsächlich die Kabelwege, die man vor Ort hier und da noch anders planen müsse. Dem Routing der Kabel gelte künftig das besondere Augenmerk.