Engineering für die Stromnetze der Zukunft

Standardisierung und „Industrialisierung“ von Beginn an

Auf dem Weg zur „All electric society“ muss die Infrastruktur massiv um- und ausgebaut werden. Sowohl die Dezentralisierung als auch die deutlich höheren Energiemengen, die künftig benötigt werden, erfordern einen erheblichen Ausbau z.B. der Verteil- und Übertragungsnetze. Das ist eine Herkulesaufgabe, die nur mit Standardisierung, Industrialisierung und Automatisierung zu bewältigen ist. Dabei gilt das Motto "Von der Industrie lernen“, denn beispielsweise der Maschinenbau setzt im Elektro-Engineering längst auf ECAD-Plattformen, die komplette und umfassende Projekte planen und abbilden können. Damit wird auch eine zentrale Voraussetzung für die Standardisierung in der Produktion geschaffen – und für die Nutzung des „digitalen Zwillings“ über die gesamte Lebensdauer der (Schalt-)Anlage.

Die Fakten sind bekannt und werden u. a. durch den Entwurf des Netzentwicklungsplans 2037 untermauert. Um die geplanten Zubauzahlen von Erneuerbaren Energien ans Netz und über das Netz zu den Verbrauchern zu bringen, müssen Übertragungs- und Verteilnetze massiv ausgebaut werden. Das hat u.a. zur Folge, dass allein in Deutschland pro Jahr zigtausende Netzstationen neu gebaut werden müssen. Hinzu kommen tausende von Stationen und Umspannwerken, die umgebaut bzw. ertüchtigt werden müssen. Die gesamte Energiewirtschaft befindet sich auf dem Weg zur „All electric society“. Andere, vor allem fossile Primärenergieträger wie Benzin und Diesel (Mobilität) und Erdgas (Gebäudebeheizung) sollen durch elektrischen Strom abgelöst werden. Der Strombedarf wird dadurch massiv ansteigen und Stromnetze werden demnach wesentlich flexibler. Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um zu dem Schluss zu kommen, dass die notwendigen Zubau- und Umbauzahlen von Ortsnetzstationen und Umspannwerken mit den bisher praktizierten Konstruktions- und Produktionsmethoden nicht zu erreichen sind.


Der Weg führt über Standardisierung und Industrialisierung

Wie lässt sich dieser Bedarf zuverlässig sowohl in der Entwicklung/ Projektierung als auch in der Fertigung sowie im späteren Betrieb realisieren? Die Antwort auf diese Frage ist zwingend mit dem Gelingen der Energiewende verbunden. Unternehmen, die sie für sich beantworten können, haben die Gelegenheit, ganz erhebliches Wachstumspotenzial zu realisieren. Hier empfiehlt sich ein Blick auf die Industrie, insbesondere auf den Maschinenbau. Dessen Produkte – eben die Maschinen – basieren zumeist auf standardisierten Baureihen, die jedoch auftragsbezogen angepasst werden können.


Vom Maschinenbau lernen: Konfigurieren statt konstruieren

Die Standardisierung des Elektro-Engineerings beginnt hier schon in der Konstruktion bzw. in der Projektierung. Entweder die Konstrukteure nutzen ein Vorlageprojekt, das sie für jedes auftragsbezogene Projekt modifizieren. Oder – noch besser – sie arbeiten mit einem Schaltplankonfigurator wie EPLAN eBUILD, bei dem sie nur Funktionen, Kenndaten, Varianten und Optionen anklicken. Schaltpläne, Stücklisten und weitere Dokumente entstehen dann automatisiert.

In diesem anspruchsvollen Aufgabenfeld des IT-gestützten und teilweise automatisierten Elektro-Engineerings ist EPLAN nicht wegzudenken. Das gilt nicht nur für die Marktdurchdringung, sondern auch für die Automatisierung der Elektrokonstruktion. Die Datendurchgängigkeit sowohl horizontal (über die verschiedenen Stufen der Projektierung, von der Vorplanung mit EPLAN Preplanning bis zur Inbetriebnahme und darüber hinaus) als auch vertikal (über einzelne Gewerke hinweg und unter Einbeziehung der Zulieferer z.B. für die Kabelkonfektionierung) bietet Unternehmen ganz neue Potenziale für mehr Datendurchgängigkeit.

Die Vorteile der Standardisierung

Aus Sicht der Betreiber von Stromnetzen bzw. dezentralen Energiesystemen (beispielsweise Ladeinfrastruktur in Kombination mit Energiespeichern und Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen wie Photovoltaik), die nun die Beschleunigung ihrer Prozesse durch Digitalisierung und (Teil-)Automatisierung planen, ist der Einsatz eines solchen CAE-Systems empfehlenswert. Schließlich legen sie damit die Grundlage für eine Standardisierung, die aus mehreren Gründen erhebliche Vorteile bietet: Mit der Spezifikation und der Projektplanung wird zugleich auch der Grundstein für Datendurchgängigkeit im gesamten Bau- und Herstellungsprozess gelegt. Eben diese beschleunigt dann im späteren Betrieb des Energiesystems oder Umspannwerkes fällige Wartungsprozesse und Serviceeinsätze erheblich.


Durchgängigkeit ist alles

Zunächst einmal profitiert der Betreiber davon, dass z. B. die Zulieferer der Schutz- und Steuerungstechnikmodule nahtlos mit der Dokumentation aus der Projektplanung weiterarbeiten und ihr Detail-Engineering zum bestehenden Projekt hinzufügen können. Damit einher gehen eine erhebliche Beschleunigung und Rationalisierung sowohl der Konstruktion als auch der Fertigung dieser Module. Diesen Schritt kann der Betreiber ohne jedes Risiko vollziehen. Schließlich ist das standardisierte und automatisierte Elektro-Engineering mit EPLAN bei vielen Stakeholdern des „Stromnetz-Ökosystems“ bereits weit verbreitet. Viele Zulieferer haben die Software bereits im Einsatz und kennen die Lösung bereits aus anderen Industrieprojekten. Die Auslieferung von Schaltanlagen und Transformatoren inklusive Dokumentation in EPLAN gehört ebenfalls zum Standardrepertoire vieler Hersteller. So schließt sich am Ende der Kreis zur Datendurchgängigkeit in der Dokumentation für den späteren Betrieb der Anlagen.

Eine gemeinsame Plattform für alle am Bauprozess Beteiligten

Ein weiterer Vorteil einer solchen – in der Elektrizitätswirtschaft bislang noch nicht gebräuchlichen – Konstruktionsweise besteht darin, dass alle am Projekt Beteiligten stets denselben Datenstand haben. Das gilt z.B. für Betreiber, die den aktuellen Stand des Bauprozesses einsehen möchten (per Viewing-Funktion), für Zulieferer, die Informationen benötigen oder für Entwickler, die an verschiedenen Standorten arbeiten. So wird die Planung effizienter, der Prozess transparenter und es werden auch Fehler vermieden, die entstehen, wenn die Beteiligten mit verschiedenen Versionen eines Projektes arbeiten.


Nicht nur für Niederspannung

Im Maschinenbau wird die EPLAN Plattform fast ausschließlich für die Planung und Ausführung der Elektroanlagen im Niederspannungsbereich benötigt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Lösung darauf beschränkt ist. Der Software ist es – plakativ ausgedrückt – egal, welche Spannungsebene sie abbildet. Mit EPLAN können komplette Umspannwerke einschließlich der Mittel- und Hochspannungsebene geplant werden und es gibt namhafte Schaltschrankplaner, die eben diese Funktion seit vielen Jahren umfassend nutzen. Bei der Datendurchgängigkeit im Planungs- und Produktionsprozess gibt es eine weitere Besonderheit. Da EPLAN Schwestergesellschaft von Rittal, führender Hersteller von Schaltschranksystemen, ist, besteht eine besonders enge Verbindung der Software EPLAN zu den Hardware-Komponenten von Rittal (Schaltschränke, Stromverteilung, Klimatisierung…).

Beispiel zum Download: Musterprojekt einer Trafostation

Nach dem Grundsatz „Nichts ist überzeugender als die Praxis“ hat EPLAN auf der SPS Mitte November ein Beispielprojekt für die Energiewirtschaft vorgestellt. Gemeinsam mit Kunden wurde auf Basis der EPLAN Plattform eine Trafostation mit Mittel- und Niederspannungssystem entwickelt, die als Projekt in der EPLAN Cloud zur Verfügung steht. Auf der Basis dieses Standard-Industrieprojekts lassen sich Verteilerstationen, Einspeisestationen oder gemischte Anlagen planen, ebenso Speichersysteme für Erneuerbare Energien. Selbstverständlich gehört die speziell im Energiesektor benötigte Betriebsmittelliste zu den Dokumenten, die im Planungsprozess entsteht.


Einfach ausprobieren: Elektro-Engineering wie im Maschinen- und Anlagenbau

Mit diesem Projekt bekommen die Akteure im Elektro-Engineering eine praxisgerechte Vorlage für die Planung von Schaltanlagen im Mittel- und Niederspannungsbereich an die Hand. Dabei werden auch die klassischen Funktionen der Software EPLAN wie Single-Line und Multi-Line (ein -und mehrpolige Darstellung), das 3D-Design im Bereich Montagelayout sowie auch Auswertungen (z.B. Klemmenpläne) berücksichtigt. Ebenso berücksichtigt sind USV (Unterbrechungsfreie Stromversorgung) und die Einspeisung von Strom aus PV-Anlagen. Auch die anschließende Fertigung wird abgedeckt, denn die Daten lassen sich 1:1 in die Produktion übernehmen. Hinzu kommt: Zentrale Komponenten wie Schaltschränke, Montageplatten, NH-Verteiler und die Stromverteilungskomponenten aus dem Rittal Portfolio sind bereits im Plan verbaut bzw. vorgesehen.

Durchgängiger Workflow – über die Produktion hinaus

Ein wesentlicher Vorteil dieses neuen Planungskonzeptes: Mit der Produktion und Inbetriebnahme der Trafostation ist die Nutzung der EPLAN Plattform nicht beendet. Daten von Schaltschränken lassen sich aus dem EPLAN Data Portal herunterladen und aus dem digitalen Zwilling der Schaltanlage lassen sich Bearbeitungsmaschinen von Rittal Automation Systems ansteuern. Und: Die  „digitale Schaltplantasche“ Rittal ePocket stellt immer die aktuelle Anlagendokumentation bereit. Sie lässt sich in der EPLAN Cloud speichern, teilen und verwalten – und ist damit die Basis für die Instandhaltung, Wartung oder spätere Modernisierung der Station.


Fazit: Ein neues „Ökosystem der Energiebranche“

Mit dieser Plattform entsteht – wenn alle Beteiligten es nutzen – ein „Ökosystem der Energiebranche“, das nicht nur vom Hersteller der Netzkomponenten und vom Schaltschrankbauer genutzt werden kann und soll, sondern z.B. auch von Systemintegratoren, Planern und Netzbetreibern. So arbeiten innovative Unternehmen im Maschinenbau und in der Industrie seit Jahren: standardisiert und automatisiert. Da sich die Anforderungen der Energiewirtschaft an die der Industrie angleichen – effiziente Planung und Fertigung einer deutlich größeren Anzahl von standardisierten Systemen mit hoher Variantenanzahl – ist es an der Zeit, dass diese Vorgehensweise in der Praxis genutzt wird.